Hören können wir bereits ab der 16. Schwangerschaftswoche, das haben Wissenschaftler herausgefunden. Warum aber fällt uns das Zu-hören als Menschen so schwer?
Wer hat noch echtes Interesse?
Ich bin bei einem Unternehmertreffen. Gute Vorträge, guter Input, ich bin begeistert und freue mich auf die Umsetzung zu Hause. In der Pause trinke ich eine Tasse Kaffee und komme mit einem Unternehmer ins Gespräch. Er fragt mich, wie ich den Tag bisher finde. Ich hole Atem um meine Antwort zu geben.
Doch bevor das erste Wort meine Lippen verlässt, spricht mein Gegenüber bereits weiter, erzählt von seinen Eindrücken, seinem Unternehmen, seinem Fachwissen. Wieder eine Frage an mich, wieder führt er seinen Monolog fort. Irgendwann realisiere ich, dass es sich wohl um rhetorische Fragen handelt. Echtes Interesse finde ich hier nicht. Nach einer Weile verabschiede ich mich höflich und wechsle zu einem anderen Tisch.
Wenn ich Führungskräfte frage, was sie in Unternehmen und an ihrem Arbeitsplatz am meisten vermissen, ist die Antwort sehr oft: Wertschätzung. Frage ich weiter, wie Wertschätzung konkret aussieht, ist die häufigste Antwort: Zuhören.
Manager können seltener zuhören
Wer im normalen Alltag das Zuhören verlernt hat, wird es in
der Krise nicht können.
Die Corona Krise offenbart viele unserer Schwächen in Deutschland. Wir sind
nicht vorbereitet auf den Krisen Modus. Wir haben verlernt, einander zuzuhören.
Wir hören nicht die Angst und Sorgen unserer Mitmenschen, sondern nur unsere eigenen Gedanken. Was uns häufig fehlt, ist Empathie, die Fähigkeit, uns in andere Menschen hineinzuversetzen.
Studien belegen, dass die Fähigkeit zuzuhören, mit jeder Karrierestufe weiter abnimmt.
Und so bleiben wir in Gesprächen alleine, hören nicht zu und warten nur darauf, wann wir endlich unser Wissen im Gespräch beisteuern können.
Zuhören ist eine Kunst
Der französische Literat Francois de la Rochefoucauld hat dieses Phänomen bereits im 17. Jahrhundert benannt:
„Eine der Gründe, warum man in der Konversation so selten verständige und angenehme Partner findet, ist, dass es kaum jemanden gibt, der nicht lieber an das dächte, was er sagen will, als genau auf das zu antworten, was man zu ihm sagt. Die Feinsten und Gefälligsten begnügen sich damit, während man es ihrem Auge und Ausdruck ansehen kann, dass ihre Gedanken nicht bei unserer Rede sind, sondern sich eifrig mit dem beschäftigen, was sie sagen wollen. Sie sollten bedenken, dass es ein schlechtes Mittel ist, anderen zu gefallen oder sie zu gewinnen, wenn man sich selbst so sehr zu gefallen sucht, und dass die Kunst, gut zuzuhören und treffend zu antworten, die allerhöchste ist, die man im Gespräch zeigen kann.“
Ich will nur, dass sie mir zuhören
Immer wiedererlebe ich, dass Menschen ins Coaching kommen, nur damit ihnen endlich jemand zuhört. Und sobald ich signalisiere: „Ich bin da, ich höre Dir zu“, bricht es wie ein Wasserfall aus ihnen heraus: Sorgen und Unsicherheiten, Angst vor Fehlern, falsch getroffene Entscheidungen, das Gefühl von Wertlosigkeit.
Wenn ich am Ende solcher Gespräche frage: „Wie geht es ihnen, jetzt?“ ist häufig die Antwort: „Endlich hat mir mal jemand zugehört. Danke, dass ich einfach mal reden durfte!“
Eine Krise wird erträglicher, wenn mir jemand zuhört. Aber auch das umgekehrte stimmt: Je mehr Menschen sich zur Krise äußern, umso schlimmer und panischer reagieren wir.
Die Kommunikation in den Sozialen Netzwerken zur Corona Seuche wirkt zurzeit als Krisen Turbo, lässt viele Menschen schneller reden und langsamer zuhören. Das Ergebnis: Die Unsicherheit wächst, die Angst steigt.
Eine (digitale) Quarantäne birgt für gesunde Menschen nicht nur Nachteile:
- Ich nehme mir bewußt Zeit, heute einem Menschen zuzuhören. Dabei konzentriere ich mich aufs Hören, ich bewerte nicht und überlege mir auch nicht während des Redens, was ich dazu sagen kann.
- Ich entspanne mich beim Zuhören, meinen Körper und meinen Geist
- Ich nutze Sprechpausen meines Gegenübers und stelle Fragen zu dem, was er oder sie gesagt hat.
Ich wünsche uns allen: Seid schnell zum Hören, langsam zum Reden.